Pulse of Nature

Klangbrücken Festival 2019 - Eröffnungskonzert

  • 01.05.19 - 19:30 Uhr, Ballhof I, Hannover
  • Programm
  • Info
  • Steve Reich (*1936)
    Pulse (2015) für Ensemble

    Olivier Messiaen (1908-1992)
    Abîme des Oiseaux (1940/41) für Klarinette solo

    Johann Sebastian Bach (1685-1750)
    Aria de la Pastorale BWV 590

    Thorsten Encke (*1966)
    Impulse-Motion (2016) für Klarinette (+2 off Klarinetten)

    Johann Sebastian Bach
    Andante BWV 979 für Klavier

    Steve Reich
    Radio Rewrite (2012) für Ensemble

    Isahy Lantner. Klarinette
    musica assoluta
    Thorsten Encke. Dirigent
    cylixe. live Video (VJ)

  • „Angesichts so vieler entgegengesetzter Schulen, überlebter Stile und sich widersprechender Schreibweisen gibt es keine humane Musik, die dem Verzweifelten Vertrauen einflößen könnte. Da greifen die Stimmen der unendlichen Natur ein.“ (Messiaen)

    Steve Reich *1937
    New York City Ithaca/NY, Kalifornien, Reisen
    Schlagzeuger, Jazz-Musiker, experimentierfreudig, im Zentrum der Minimal Music geblieben, auch wenn seine Zeit- und Stilgenossen sich in sehr diverse Richtungen entwickelten

    Durch Steve Reichs Werk „Pulse“ aus dem Jahre 2015 trägt uns ein einziges Thema über einem Grundpuls im E-Bass. Es erzeugt eine flächig-meditative Atmosphäre, die sich zwar gelegentlich zu einer größeren Verwandlung bereit zu machen scheint, jedoch immer wieder auf die Basis zurückfällt und die bereits bekannten Prozesse nur durch eine neue Linse beleuchtet - ein zyklisches Geschehen, das uns auch in der Natur häufig begegnen mag. Die Entstehung von „Radio Rewrite“ (2012) geht zurück auf eine Festival-Begegnung zwischen Reich und Jonny Greenwood, dem Sänger und Gitarristen der bekannten britischen Rock-Band Radiohead. Reich befasste sich daraufhin mit den Songs von Radiohead und griff zwei – „Jigsaw Falling Into Place“ und „Everything Is In Its Right Place“ – heraus, um ihre harmonischen Strukturen auf seine eigene Weise neu zu verarbeiten, wobei er nicht direkt zitiert, sondern mehr seine Faszination mit der Essenz dieser Songs in Töne fasst.

    Reich: „Zum genauen Heraushören der Songs - die Wahrheit ist, manchmal erkennt man sie und manchmal nicht.“ „As is well known, composing is primarily a solitary activity.“ – „Bekanntermaßen ist Komponieren vornehmlich eine einsame Tätigkeit.“ (Reich, 2015 - der jedoch hinzufügte, seiner Herausgeberin Maggie Heskin für ihre Ideen sehr dankbar zu sein)

    Olivier Messiaen 1908 Avignon – 1992 Clichy
    Grenoble, Paris, Kriegsdienst, Görlitz Ornithologe an der Orgel, Shakespeare-Verehrer, gläubiger Katholik, Improvisationskünstler, Synästhetiker, Inspiration von Zahlenmystik über Gamelan bis Stravinsky

    „Abîme des Oiseaux“ ist der 3. Satz aus Messiaens berühmten „Quatuor pour la Fin de Temps“ (Quartett für das Ende der Zeit) für Geige, Cello, Klarinette und Klavier. Die eigentümliche Besetzung erklärt sich durch die widrigen Umstände der Entstehung – 1940/41 war Messiaen in deutscher Kriegsgefangenschaft in Görlitz interniert, wo er für die Musiker unter seinen Mitgefangenen komponierte. Die Uraufführung fand im Lager bei bitterer Kälte auf beschädigten Instrumenten statt: so hatte das Cello beispielsweise nur drei Saiten. Messiaen befasst sich hier mit der Zeit in einer theologisch-abstrakten Dimension und bezieht sich dabei auf die biblische Offenbarung des Johannes – so stellt der „Abgrund“ („Abîme“), um den die zu hörenden Vögel kreisen, die Kulisse dar für den zu erwartenden Auftritt des Engels, der dort das Ende der Zeit verkünden wird: die Apokalypse. Die Klarinette stimmt hierzu verwirkt in die Naturlaute der Vogelstimmen einen Klagegesang an, in dem ein dreimal wiederkehrender Ton auffällt. Die Apokalypse selbst erscheint hier jedoch weniger als Horrorszenario, sondern als Rahmen für eine tiefe Begegnung mit den Grundsätzen des menschlichen Lebens, mit der Zeit und eben ihrem „Ende“ – ausgedeutet als Möglichkeit, sie neu geformt und un-endlich zu begreifen.

    „Ich habe versucht, ein christlicher Musiker zu sein und meinen Glauben zu singen, ohne dass es mir je gelungen wäre… Absolute Musik, profane Musik und vor allem theologische (und nicht, wie die Mehrheit meiner Hörer meint, mystische) Musik wechseln in meinem Schaffen ab.“ (Messiaen, 1946)

    Thorsten Encke *1966 Göttingen
    Celle, Los Angeles, Hannover
    Cellist, Komponist, Dirigent, Ensemblegründer

    „impulse – motion“, komponiert 2016 im Rahmen des Pojekts „Q ('kju:) - Deformation von Raum und Zeit“, ist eine Sammlung von Improvisationen für Klarinette solo mit zwei Echo - Klarinetten. Letztere sind im Raum positioniert und für die Zuhörer unsichtbar. Ein knappes Motiv zu Beginn eine jeden Stückes ist der Impuls für die nachfolgende „Bewegung“, die sich nicht nur musikalisch manifestiert, sondern auch durch möglichst geräuschlose Positionsänderungen des Solisten im Saal.

    „Es ist unsere Zeit in der wir leben und die wir weitergeben werden. Hier müssen wir überdenken und verändern - angefangen bei uns selbst. Vielleicht kann heutiges Komponieren uns dies zeigen: Schaffung einer Gemeinschaft, konsequentes Hinterfragen der eigenen Voreingenommenheit, Suche nach der Einfachheit in Anerkennung der Komplexität des Menschen.“ (Encke, 2019)

    Johann Sebastian Bach 1685 Eisenach – 1750
    Leipzig Arnstadt, Weimar, Köthen
    Musikalischer Architekt mit mathematischer Affinität, religiöse Inbrunst bei protestantischer Demut, schwindelerregend umfangreiches Werk, über jede Zeit, jede Epoche und jeden Kommentar erhaben

    Der Titel ‚Pastorale‘ (auch Pastorella) von Bachs BWV 590 bezieht sich eigentlich auf den 1. Satz dieser Komposition - ein heiteres Werk im italienischen Stil. Aber auch der 3. Satz „Aria“ (heute für Klavier solo) klang in seiner melodischen Natürlichkeit einigen Historikern so wenig nach Bach, dass die Authentizität des Werks zuweilen angezweifelt wurde. Dennoch spricht eine gewisse Zahlensymbolik durchaus seine Sprache: Ein 3/8-Takt im Bass wird mit Triolen in der Melodie zusammengefügt, von denen je 3 auf ein Achtel, also insgesamt 3x3 in einen Takt passen – diese auf der Zahl 3 basierende Architektur mag sicherlich ganz ohne Spekulation auf die heilige Dreifaltigkeit verweisen, denn in musikhistorischem Kontext der Notation galt lange Zeit die Unterteilung eines Notenwerts in drei gleiche Abschnitte, also quasi Triolen, als „perfekter“ (in Bezug auf die religiöse Verneigung) als die ebenfalls praktizierte, aber „imperfekt“ titulierte Aufteilung in zwei, wie sie heute üblich ist – eine Praxis, die zu Bachs Zeiten jedoch schon nicht mehr gängig gewesen sein dürfte und nur im klanglichen Ergebnis mitschwingt. Das Andante BWV 979 ist der 4. Satz einer Bearbeitung eines Violinkonzerts von (wahrscheinlich) Giuseppe Torelli, einem damals berühmten italienischen Geiger und Komponisten, die Bach in seiner Weimarer Zeit um 1713 vornahm. Das Andante schafft mit seinen gebrochenen Akkorden – die beinahe anmuten wie ein Suchspiel nach einer nie dazu ersonnenen Melodie – eine zutiefst nachdenkliche Stimmung, die hier einen organischen Übergang zur Musik Steve Reichs bildet.

    Ishay Lantner – Klarinette
    Ishay Lantner spielte vier Jahre als erster Klarinettist im Israeli Chamber Orchestra, bevor er bei Prof. Johannes Peitz an der HMTM Hannover studierte. Lange war Ishay Lantner Mitglied des West-Eastern Divan Orchestra, mit dem er unter der Leitung von Daniel Barenboim und Pierre Boulez konzertierte; seit 9 Jahren arbeitet er regelmäßig mit dem Ensemble der Berliner Philharmoniker zusammen. Gastengangements führten ihn u.a. zum Philharmonia Orchestra London. Als Solist gastierte er bei Festivals wie dem Jerusalem International Chamber Music Festival, der Asian Music Biennale, den Niedersächsischen Musiktagen sowie beim Festival SPANNUNGEN in Heimbach. Seit 2012 ist Ishay Lantner Soloklarinettist im Philharmonischen Orchester Kiel.

    cylixe – live Video
    cylixe studierte Freie Kunst, Fotografie, Video und artverwandte Medien in Braunschweig, Lissabon, Berlin und New York und ist vielfach ausgezeichnet: u.a. durch die Studienstiftung des Deutschen Volkes, den Berlinale Kurzfilmwettbewerb, den European Media Art Festival Newcomer Award und die junge Akademie der Künste Berlin. Ihre Arbeit beschäftigt sich mit sozialen Strukturen und digitaler Kultur, menschengemachten Systemen und dem Absurden und wurde in Festivals, Ausstellungen und Screenings in über 20 Ländern gezeigt. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin.

Weiterführende Links

Steve Reich @ Jeffrey Herman

Tickets

Kassen des Staatstheaters Hannover: (0511) 9999 1111

Pulse of Nature
  • 01.05.19 - 19:30 Uhr, Ballhof I, Hannover
Eintritt